Über die „Compositionen zu Goethes Faust“ des Fürsten Antoni Henryk Radziwiłł

Zwei Vereine – eine Idee

von Bernd Kemter

Es mutet wie ein Wunder an und ist schon recht merkwürdig. Zu gleicher Zeit und unabhängig voneinander wurde in den beiden Goethe-Gesellschaften Wetzlar und Gera dieselbe Idee geboren: eine Aufführung der „Compositionen zu Goethes Faust“ des Fürsten Antoni Henryk Radziwiłł (* 1775 in Wilna; † 1833 in Berlin). Dieser polnisch-litauische und preußische Politiker und Großgrundbesitzer gilt als Verfechter einer deutsch-polnischen Annäherung, was ganz im Sinne heutigen europäischen Zusammenwachsens liegt. Er war aber auch ein begabter Musiker und Komponist, sang gern und spielte virtuos das Cello. Goethe, der Vertonungen seiner Werke stets skeptisch gegenüberstand, versagte der klingenden Faust-Adaption keineswegs seine Anerkennung, er hatte dem Fürsten zuvor höchstpersönlich noch einige Skizzen geschickt.

Die Uraufführung fand am 24. Mai 1820 in Gegenwart des versammelten preußischen Hofes in Berlin statt. Am 7. Juni gab es eine Wiederholung im Schloss Monbijou. Nun zog sich die Sache hin. Erst 1830 fügte der Fürst seinem Werk drei neue Szenen hinzu: den Spaziergang mit Wagner, die Gartenszene und die Kirchenszene. So geriet der „Faust“ sowohl bei seinem literarischen als auch seinem musikalischen Schöpfer zum Lebenswerk. „Der edle Komponist“, schreibt Zelter am 11. März 1832, „hat sich Jahre hindurch so in das Werk seines Dichters versponnen wie ein Seidenwurm; jeder Faden hält ihn fest.“ Später erschien das ganze Werk in Partitur und Klavierauszug bei Trautwein in Berlin.

Doch zurück zu unseren Vereinen. Wetzlar hat inzwischen die Nase vorn. „Uns glücklich mit fortreissende Composition“ – mit diesem Zitat des großen Dichters war der Abend der Wetzlarer Gesellschaft anlässlich des 276. Geburtstages des Universalgenies überschrieben. Nun rückte der „Faust“ in der Vertonung des Fürsten in den Vordergrund. Das Gesprächskonzert mit Nicole Tamburro (Sopran), Hermann Wilhelmi (Klavier und Moderation), Angelika von Kittlitz (Deklamation) und Yejun An (Cello) fand im Stadt- und Industriemuseum statt.

Unterstützt wurde es vom Kulturfonds Gießen-Wetzlar und dem Kulturförderring Wetzlar. Dessen Vorsitzender Boris Rupp überreichte im Vorfeld den Vertretern der Goethe-Gesellschaft, dem Vorsitzenden Oliver Meyer-Ellendt, seinem Stellvertreter Dieter Lehnhardt und der ehemaligen Vorsitzenden, Angelika Kunkel, einen Spendenscheck zur Unterstützung des Projekts.
„Unser Radziwiłł ist sehr gut gelaufen, auch wenn wir im Vorfeld wegen einiger erkrankter Akteure ziemlich ins Schwitzen geraten sind. Aber am Ende hat es sich gelohnt, die Resonanz war sehr positiv“, schätzt Oliver Meyer-Ellendt, ein.

„Eine Woche vor unserer Aufführung bekamen wir eine Mail von einem Musikwissenschaftler, Herrn Meder, der derzeit an seiner Dissertation zum Thema Radziwiłł und der Faust-,Composition‘ arbeitet (Hochschule für Musik und Theater Rostock, Betreuerin Friederike Wißmann). Er besuchte dann tatsächlich unsere Aufführung, und da unser Moderator am Anfang des Gesprächskonzerts gesundheitlich nicht ganz auf der Höhe war, hat Herr Meder sogar freundlicherweise die einführenden Worte übernommen. Glück muss man haben.“ Eine zweite Aufführung findet am Samstag, 8. November, um 19 Uhr, im Konzertsaal des Rathauses Gießen statt.

Wir, die Geraer, stehen indes noch in den Startlöchern. Die ganz große Besetzung bleibt auch für unseren kleinen Verein ausgeschlossen, wir bemühen uns wie die Wetzlarer um ein kleineres Format, das zudem unseren finanziellen Möglichkeiten entspricht. Inzwischen haben wir vier Sänger und Sängerinnen, einen Pianisten und einen Cellisten für das Projekt gewinnen können. Weitere Überlegungen stehen an, insbesondere denken wir, dem Beispiel Wetzlars folgend, über die Themen Deklamation und Moderation nach, was ebenfalls auf ein „Gesprächskonzert“ hinauslaufen dürfte. Die Proben beginnen im Januar, die Aufführung soll am 3. Mai 2026 anlässlich unseres 20. Jubiläums erfolgen. Fördermittel sind beantragt, die Stadt Gera stellt uns unentgeltlich den Ratssaal zur Verfügung.

Gerne würden wir uns auch weiterhin mit diesem künstlerisch begabten Fürsten beschäftigen. Neugier wecken zum Beispiel seine Komposition „Complainte de Maria Stuart“ sowie seine Lieder, darunter Gesänge mit Gitarren- und Cello-Begleitung. Der komponierende Fürst blieb seinerzeit keineswegs unbeachtet. Ludwig van Beethoven widmete ihm die Große Ouvertüre C-Dur, op. 115, die großartige und ihrerzeit hochberühmte Pianistin Maria Szymanowska die Serenade für Klavier mit Cellobegleitung, Fryderyk Chopin das Trio für Klavier, Violine und Cello g-Moll, op. 8.

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